Heinrich «Heiner» Scheier v/o Gripp, 23.07.1926 – 26.03.2021

26.03.2021 - Michael Spirig v/o Gaudÿ

Nachruf

Prof. Dr. med.

Heinrich «Heiner» Scheier v/o Gripp

Kyburger, Salevia, Corona Sangalensis

23.07.1926 – 26.03.2021

 

 „Das glaube ich ja nicht… das ist doch nicht möglich“ das waren meine Worte, als ich bereits nach meiner aktivsten Aktivzeit davon erfuhr, dass Heiner Scheier v/o Gripp Kyburger war. Extrapoliert von meiner Zeit, von der es immer hiess, wie schlapp diese bereits sei im Vergleich zu früher, in die Zeit als Gripp aktiv war, konnte ich mir das schlicht und ergreifend nicht vorstellen. Wie konnte dieser wirklich professorale Professor zum Beispiel die Zeit der harten Zeche oder eine Bierstafette prästieren. Hat er wohl auch nach Stamm und Niederdorf mit anschliessendem weltverbesserndem Absacker in der WG noch die lebensrettenden Spaghetti gekocht. Hat er tags darauf mit Kopfschmerzen wirklich die Vorlesung verpennt, um am Mittag schon wieder am Stamm heilbringende Suppe zu schlürfen und mit den Consemestern beim ersten Bierchen den nächsten Stammabend vorzuglühen.  Ich vermute mal, dass der smarte Gripp hier wohl andere, durchaus intelligentere Wege gegangen ist um dem studentischen Frohsinn nachzuleben.  Allerdings fehlen mir hier als einiges jüngeres Semester die Angaben um verlässlich darüber zu berichten. Aber vielleicht bin auch ich mal froh, wenn man dann dereinst nicht mehr alles weiss!

Aus dem goldenen Buch indes ist von Gripp mit seinem eher trocken, aber treffenden Humor folgendes zu erfahren: „Das Licht der Sonne erblickte ich erstmals am 23. Juli 1926 in Mörschwil, einer kleinen Landgemeinde in der Nähe der Gallusstadt, wo ich auch meine ersten Geh-Schreib- und Lese-Versuche anstellte. Zur weiteren Ausbildung, die Einbildung kam von selbst, schickte mich mein Vater in die "Stifts-Schule" (Real-Schule) nach St. Gallen. Nach 2 Jahren, 1939, siedelte ich nach der Kantonsschule in derselben Stadt über. 1943 machte ich durch die Corona Sangallensis meine erste Bekanntschaft mit dem Schw. StV und wurde in dieser mit dem Namen "Schnuller" aus der 2. Taufe gehoben. 1945 machte ich in St. Gallen die Matura und zog dann nach Freiburg, wo ich mich an der medizinischen Fakultät immatrikulierte und 1946 als "Wilder" das 1. Prope bestand. Zur Fortsetzung meiner Studien ging ich nach Zürich, ersuchte dort im WS 46/47 die Kyburger um Aufnahme in ihren Bund, und entstieg an der Maifahrt 1947 dem Zürichsee mit dem Namen "Gripp". 1948 2. Prope. Den Kyburgern und der Zürcher Fakultät blieb ich bis auf zwei kurze Unterbrüche, nämlich ein Semester in Genf, mit Burschifikation in der Salevia SS 48, und eines in Paris, immer treu. Ende 1951 absolvierte ich in der medizinischen Fakultät in Zürich mein Staatsexamen, welches im St. Peter auch gebührend gefeiert wurde. Wie die Geschichte weiter geht, kann ich heute noch nicht zum Besten geben, da ich mich aufs Wahrsagen nicht verstehe. Zürich den 15. Dezember 1951".

Gripp war also gerade mal 25-ig, als er, bereits Mediziner, um Aufnahme in die Altherrenschaft bat und seine Fachausbildung begann. Auch bei dieser dürfte er weniger das Wahrsagen als vielmehr das klare Analysieren und chirurgische  Handwerk gelernt haben. Er ging dazu zuerst nach Holland, dann ins Wallis und dann zurück nach St. Gallen. Später trat er in die orthopädische Universitätsklinik Balgrist in Zürich ein, wo er auch habilitierte und sich zunehmend auf die Wirbelsäulenchirurgie spezialisierte. In dieser Zeit dürfte er auch seine akzentfrei baslernde Frau Esther, oder eher "Estrrr", kennen gelernt haben. Sie schenkte ihm dann in der Zeit von 1958-1963 zwei Söhne, Johannes und Stefan, sowie eine Tochter Franzisca. Ebenfalls in der Zeit am Balgrist sind sich Gripp und mein Vater, Bruno Spirig v/o Fis von der Berchtoldia, begegnet und zwischen den Familien entwickelte sich eine von fachlichem Eifer und Begabungen angetriebene, aber auch vom einen oder anderen Bierchen gefestigte Freundschaft. Sehr in Erinnerung geblieben sind mir, noch als Bub, die gemeinsamen Skiferien in Pontresina, aber auch die Bergferien in diversen Alphütten. Zusammen mit Gripp‘s Kindern konnten wir durch geeinten Streik, dann die beiden Herren Doktoren doch manchmal dazu bewegen, sich nicht zu bewegen, was heisst, das gleichen Orts vorhandene "Bähndli" zu nehmen, statt bescheiden fachsimpelnd den Wanderweg. Grossen Spass bereitete auch, wenn wir unter professoraler Anleitung, was ich damals natürlich nicht realisierte, Bergbäche umleiteten und uns beim Nachtessen ein Poulet bis ins kleinste Detail vorseziert wurde. Im Kopf ist mir auch geblieben, wie der Professor "Heiner" den Wein trank.  Dazu setzte er das Glas eher in seiner Maulecke an, um dann ganz bedacht den Kopf, das Glas und den Arm miteinander zu heben. Dies wohl weniger um in dem Moment ein Zinksieben zu gewinnen, sondern vielmehr um den Wein gut dosiert zu geniessen und seinen Gesprächspartner respektvoll nicht aus den Augen zu verlieren.

Dies könnte man auch seiner fokussierten Besonnenheit und geachteten Bescheidenheit zuschreiben, so wie sie im Nachruf von seinen Kollegen an der Schulthess Klinik hochachtungsvoll und sehr treffend beschrieben werden: "Wir nehmen Abschied von einem der grössten Schweizer Pioniere der Wirbelsäulenchirurgie. … Mit seinem Antritt als Co-Chefarzt in die Schulthess Klinik im Jahr 1969  wurden die langwierigen konservativen Therapien der schweren Wirbelsäulendeformitäten in die Ära der operativen Korrekturen geführt. Mit seiner Genialität und Bereitschaft, sein Leben diesem anspruchsvollen Gebiet der orthopädischen Chirurgie der Wirbelsäule zu widmen, legte er den Grundstein für eine moderne Behandlung des Achsenorgans …. das den Spitalaufenthalt drastisch reduzierte, den betroffenen Kindern eine normale Gestalt zurückgab und ihnen ein normales Leben ermöglichte. Prof. Scheier war in vieler Hinsicht ein Vorbild für seine Assistenzärzte. Neben der fachlichen Kompetenz waren dies vor allem seine Menschlichkeit und Bescheidenheit. Starallüren waren ihm fremd. …Würde es eines Beweises bedürfen, dass kompromisslose Ehrlichkeit und ein hohes Mass an Uneigennutz, gepaart mit einer entwaffnenden Bescheidenheit, am zuverlässigsten die Sympathie der Mitmenschen zu mobilisieren vermögen, so hinterlässt ihn Heiner Scheier in den Herzen all jener, die ihn näher kennen durften….Wer liebt nicht diesen zerstreut wirkenden echten Professor, der unangefochten von rasch wechselnden Kleidermoden, stets voll auf seine ihm wichtig erscheinende Tätigkeit konzentriert, allem Unwesentlichen in dieser Welt nicht mehr Aufmerksamkeit widmete, als die leere obere Hälfte seiner auf die Nasenspitze abgerutschten Brille zuliess."

Nach seiner Pensionierung im Jahre 1999 hat sich Gripp in seine Privatsphäre zurückgezogen und auch seine Lehrtätigkeit an der Universität und sein Engagement in der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie eingestellt. Gelegentlich hatten Gripp und "Estrrr" noch Kontakt mit meinen Eltern und aufgrund seiner Bescheiden- oder Besonnenheit, erfuhr auch ich erst in diesen Jahren bei einem überraschenden Treffen an einem Weihnachtskommers, dass Gripp Kyburger war. Für diese fand er offenbar ab und zu und als Pensionär vermehrt wieder Zeit, so wie AH Junker freudig folgende Erinnerungen rapportiert: "AH Gripp war mir vom Dienstag-Mittagessenstamm im Zeughauskeller, wo er hin und wieder, aber eher selten, erschien und ganz früher auch vom Stamm her bekannt. Ich habe ihn als sehr liebenswürdigen eher leisen und zurückhaltenden Alten Herrn in Erinnerung, der obwohl  eine grosse medizinische Kapazität sehr bescheiden im Auftreten,  also überaus sympathisch und an der Verbindung interessiert erschien."

Lieber Gripp, die Kyburger danken Dir für die Treue, bewundern Deine Kompetenz und grossartigen Leistungen und wir werden Dir stets ein ehrendes Andenken bewahren. Und mir kommst Du stets in den Sinn, wenn ich Wirbelsäulenbeschwerden habe oder Wein trinke - also immer öfter. Requiescas in pace.

 

Michael Spirig v/o Gaudÿ

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