Rainer Schmid v/o Dom, 17.07.1933 – 26.09.2020

26.09.2020 - Erich Haag v/o Gral

Nachruf

Dr. sc. techn. ETH

Rainer Schmid v/o Dom

Kyburger, Suitia

17.07.1933 – 26.09.2020

  

Wir waren sechs Neofüxe, die im Wintersemester 1953/54 zu den Kyburgern stiessen: Hans Birrer v/o Skiff, Eugen Graf v/o Pferch, Paul Grünenfelder v/o Fit, Bruno Wick v/o Kran, ich selber – und  Rainer Schmid v/o Dom. Dom, der Walliser, gross, kräftig gebaut, mit markanten Gesichtszügen, «ein Kerl wie Samt und Seide», hatte sein Vulgo von dem Walliser Berg¬gipfel bekommen, der zwar nicht genau zum heimatlichen Goms gehört, aber auch markant und hoch aufragend dasteht. Er war eine Berglernatur, zäh, einsatzfreudig, selbst-bewusst, treu, strotzend von Lebenskraft.

Dom wurde am 17. Juli 1933 als drittes Kind der Familie Schmid in Mörel geboren; ihm folgten noch drei jüngere Brüder. Sein Vater, unser lieber Altherr Rottu, war Advokat und Notar; er hatte während des Zweiten Weltkriegs, um als Selbstständigerwerbender überhaupt ein Einkommen zu haben, auch noch die Stelle als Posthalter und einen Kleinbauernbetrieb übernommen. Dom besuchte die Primarschule in Mörel (sie dauerte damals nur jeweils von November bis April; in den Sommermonaten war in der Grossfamilie und dem Bauernbetrieb genügend Arbeit auch für die Kinder vorhanden), dann wechselte er an die Realschule des Kollegiums Spiritus Sanctus in Brig und drei Jahre später ans Kollegium Schwyz, das er 1952 mit dem Maturitätszeugnis Typus C verliess. In Schwyz trat Dom auch der Suitia bei. Nach einem Jahr mit beruflichem Praktikum und Militärdienst schrieb er sich im Herbst 1953 als stud.masch.ing. an der ETH ein. Mit «Pflichtbewusstsein und Begeisterung», wie er im Goldenen Buch schreibt, stellte er das Eintrittsgesuch bei der AKV Kyburger. Damals lernte ich ihn kennen, es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.

Wir waren ein lebhafter Fuxenstall unter der straffen Führung des Knappenmeysters Karl Kennel v/o Schroff, an strikten Kommentbetrieb gewöhnt, aber auch zu allerhand Schabernack aufgelegt. So zogen wir gelegentlich gruppenweise durch das Niederdorf (plenis coloribus!), und wenn uns dann einer anrempeln wollte und plötzlich den grossgewachsenen, breitschultrigen Dom vor sich sah, der ruhig fragte: «Suechsch Schtriit?», so wich jener schleunigst zur Seite. Wir fühlten uns mit Dom sicher und überlegen. Noch andere Begebenheiten beeindruckten uns. So etwa am Kommers des Corporationen-Verbandes Zürich. Wenn damals ein Bursche einem Angehörigen einer anderen Verbindung zutrinken wollte, schickte er einen Fuxen voraus, der den Zutrunk mit einem Ganzen anmeldete. Die Kyburger wählten dazu gern Dom; er konnte nämlich ein Ganzes in einem Zug leeren, was den Eindruck auf der Gegenseite nicht verfehlte.

Aber das Studium nahm Dom ernst. Er begann es, wie gesagt, im Herbst 1953 an der Abteilung für Maschineningenieurwesen der ETH Zürich und schloss es im Juni 1958 mit dem Diplom als Betriebsingenieur ab. Anschliessend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Arbeitsphysiologie und Betriebshygiene bei Prof. Etienne Grandjean. 1961 wurde er zum Doktor der Technischen Wissenschaften promoviert; sein Dissertationsthema betraf Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit, Leistung und Ermüdung.

Den Einstieg in die Berufswelt machte Dom als Direktionsassistent bei der Firma Brown Boveri in Baden, wo er einen Teil der Abklärungen für seine Dissertation durchgeführt hatte. Im folgenden Jahr kam er als Betriebsleiter zur Jura-Cement-Fabrik in Wildegg, wechselte aber nach weiteren zwei Jahren zu den Zürcher Ziegeleien, wo er als Leiter der Produktion für vier Ziegeleien und zwei Betriebe für Zement¬waren verantwortlich war. 1970 wurde er Geschäftsleiter der süddeutschen Tochtergesellschaft Baustoffwerke Mühlacker AG bei Pforzheim, die mit 300 Mitarbeitern 20 Mio. DM Umsatz machte. 1975 wurde er zum Technischen Direktor und Leiter des Unternehmensbereiches Ziegeleien in Zürich ernannt. Nach einem personellen Wechsel an der Spitze der Unternehmung verliess er 1979 die Firma. Dom war nie ein Diplomat gewesen, er vertrat seine Überzeugungen direkt und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, was ihm nicht nur Freunde schaffte. Kurz darauf übernahm er die Geschäftsleitung der Baubedarf AG, einer der bedeutendsten Firmen des Baumaterial-Fachhandels in der Schweiz. Anfang 1989 konnte er – dank seiner Auslanderfahrung und seinen Erfolgen bei der Modernisierung vieler Produktionsanlagen – die Stelle als Technischer Direktor der SIKA Deutschland übernehmen. Wieder ging es um Modernisierung der Produktionsanlagen, Einführung von Qualitätsmanagement, Umweltzertifizierung und Arbeitssicherheit. Während Jahren pendelte Dom als Wochenaufenthalter zwischen Stuttgart und Langnau. Mit 63 Jahren ging er, wie er schreibt, in den (Un)ruhestand.

Am Zentralfest 1955 des St.V. in Solothurn lernte Dom seine spätere Frau Rosmarie kennen. Die beiden gut aussehenden jungen Leute fanden Gefallen aneinander, verliebten sich und gründeten später eine Familie. Drei Töchter folgten, Anna-Katharina, Rachel und Dorothee – sie sind alle im Kulturbereich erfolgreich tätig – und drei Enkelkinder. Es war wohl für die Familie nicht leicht, dass der Vater während Jahren nur jeweils an Wochenenden zu Hause war, aber Dom bestätigt in seinen Notizen zum Lebenslauf, sie hätten ein schönes, harmonisches Familienleben gehabt.

Wir wären nicht so zahlreich hier versammelt, wenn nicht Dom ein prominenter und wohl auch einer der bekanntesten Kyburger seiner Generation gewesen wäre. Schon als Aktiver bekleidete er verschiedene Chargen: er war Schatzmeyster, Knappenmeyster und Burggraf und betreute in den Jahren 1956/57 als Mitglied des Centralkomitees des St.V. das Ressort Gymnasialverbindungen. Daneben wirkte er als Vorstandsmitglied des VSETH, des Verbandes der Studierenden an der ETH. 1966-1969 war er Mitglied unseres Altherren-Vorstandes und Verbindungsdelegierter. In dieser Zeit musste der Stamm wieder einmal umziehen, diesmal vom St. Peter in den Schützengarten. Zum Glück wurde die Aktivitas damals nicht sehr stark von der 68er-Bewegung ergriffen, sonst hätte Dom wohl vorzeitig graue Haare bekommen. Von 1980-1986 amtete er als Altherrenpräsident, als Nachfolger von Tino Kistler v/o Jalon. Diese Zeit wird den älteren Kyburgern noch in Erinnerung sein.

Wichtig waren für Dom auch die Wandernieren, der erlauchte Orden, der zur Hauptsache aus Alemannen, Burgundern und Kyburgern besteht und der jährlich einen mehrtätigen Marsch an den Ort des Zentralfestes durchführt. Er war sogar für kurze Zeit «Oberseich», d.h. Ordensoberer. Wichtig war ihm, auf langen Märschen und in Mussestunden Kontakt zu haben und Gespräche zu führen mit Freunden aus anderen Verbindungen, Jungen und Alten, Angehörigen verschiedener Berufsgruppen. Auch in jenen Jahren hatte er noch nichts von seinem manchmal überbordenden Temperament und Wagemut verloren. So erinnere ich mich daran, wie die Wandernieren einmal auf ihrem Marsch zur GV-Stadt Wil in der Karthause Ittingen nächtigten. Nach dem Abendessen bemerkten wir plötzlich zu unserem Schrecken, wie Dom hoch über unseren Köpfen im Gebälk des Lokals herumturnte; zu unserem Schrecken, weil wir alle zuvor nicht nur Henniez getrunken hatten. Aber es passierte nichts. Dom war höhengewohnt und schwindelfrei und lachte nur über uns wenig berggewohnte Üsserschwiizer.

1995 begann also für Dom der Unruhestand, wie er das nannte. Nachdem er jahrelang Wochenaufenthalter in Stuttgart gewesen war, bedeutete das eine grosse Änderung. Er konnte sich jetzt intensiv seinem Garten widmen, mit grossen und kleineren Umbauten und Pflanzungen. Der Garten samt Werkstatt war auch ein wichtiger Wirkungsort für ihn als «Nonno». Er hütete zusammen mit seiner Frau Rosmarie alle seine drei Enkelsöhne mit Herz und Hingabe. Dom lehrte seine Enkel gärtnern, zimmern, hämmern, sägen, skifahren, segeln und – kochen. Er selbst war ein leidenschaftlicher Koch, er hatte all die Jahre in Deutschland täglich gekocht und hat dies auch nach seiner Pensionierung weitergeführt, Rosmarie verwöhnt und bekocht, bis er in den letzten zwei Jahren den Geschmacksinn und die Kraft verlor. Auch war er viel auf Wanderungen und Spaziergängen in der Natur unterwegs, und bis zu seinem 80. Geburtstag ging er mit seinen Töchtern, Schwiegersöhnen und Enkeln skifahren, auch auf Skitouren. Dann legte er nach einem Sturz die Skier zur Seite. Dank seiner Pensionierung hatte Dom nun auch mehr Zeit für sein Segelboot auf dem Zürichsee. Er segelte auch mit Freunden auf dem Mittelmeer, so etwa mit Anton Huonder v/o Storch, und bereiste mit seiner gesamten Familie samt Enkelkindern die Karibik auf dem Segelboot bis ihm dies sein Herz nicht mehr erlaubte. Sein nostalgisches Holz-Segelboot verlangte jeweils im Winter viel handwerkliches Geschick für das Herrichten zur neuen Segel-Saison. Bei dieser Arbeit halfen ihm seine beiden ebenfalls segelbegeisterten Töchter Rachel und Dorothee.  

In den letzten zwei Jahren ging es gesundheitlich bergab. Das Herz wollte nicht mehr, die Kräfte liessen nach. Als Folge einer schweren Gehörschädigung, die Dom als junger Artillerieoffizier erlitten hatte, hörte er nur noch sehr schlecht. Aber geistig blieb er präsent. Er orientierte sich täglich in der Zeitung (bis wenige Tage vor seinem Tod), verfolgte am Fernseher Diskussionsrunden, Informations-, Kultur- und Musiksendungen, diskutierte mit Frau, Töchtern, Enkeln, Freunden und Gästen über die aktuelle Politik. Er las bis zuletzt Bücher - immer wichtiger wurden ihm spirituelle Texte und Gedanken über Sterben und Tod.
Nun ist Dom vor einer Woche von uns gegangen. Sein Wunsch, in den letzten Lebenstagen noch einmal alle seine Angehörigen zu sehen und zu Hause sterben zu können, ist in Erfüllung gegangen. Wir haben einen lieben Freund, eine markante Persönlichkeit, einen treuen Kyburger verloren.

 

Erich Haag v/o Gral

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